Muriel Mirak-Weißbach: Through the wall of fire
Am 28. August 2010 sprach Frau Mirak-Weißbach bei Convivio mundi e.V.
in Hannover über ihr Buch.
Der Gang durch das Feuer
Armenien – Irak – Palästina
Vom Zorn zur Versöhnung
In Dante Alighieris großem Werk „Die göttliche Komödie“, geschrieben an der Schwelle in ein neues Zeitalter zu Beginn des 13. Jahrhunderts, soll Dante, nachdem er durch die Hölle und den Läuterungsberg gewandert ist, auf Geheiß seines Führers Vergil eine Wand aus Feuer durchschreiten.
Beim Anblick der Flammen überkommt ihn ein Gefühl der Angst und der Lähmung. Erst die Versicherung, die Flammen werden ihm zwar Pein, nicht aber den Tod bescheren, und die Erwartung, hinter der Feuerwand seine geliebte Beatrice wiederzufinden, lassen ihn seine Angst überwinden.
Muriel Mirak-Weißbach erzählt allen Betroffenen der von ihr ausgewählten historischen Konflikte diese Geschichte von Dante. Den Armeniern, deren Angehörige dem Völkermord zum Opfer fielen, den Eltern der Kinder im Irak in den 90er Jahren, die wegen des Embargos nicht die Medikamente erhielten, die ihr Leben hätten retten können, den Israelis, deren Freunde, Nachbarn und Angehörige durch palästinensischen Terror starben, und den Palästinensern, deren Familien durch Vertreibung seit 1948 in unmenschlichen Lebensumständen in Flüchtlingslagern leben. Und sie erzählt sie uns.
Mirak-Weißbach ist überzeugt, dass eine Wende vom Zorn zur Versöhnung nur dann geschehen könne, wenn Menschen den Mut haben, durch eine Wand aus Feuer zu gehen – alles offen zu legen, was geschehen ist, nicht länger zu leugnen und wenn immer möglich, die Verantwortlichen zu nennen. Der Aufruf, einfach alles zu vergessen und neu zu beginnen, reiche nicht. Was man leugnet, kann man nicht einfach vergessen. „Nur das, was man gemeinsam feststellt, dass es geschehen sei, kann auch vergeben werden.“
Die in Deutschland lebende Amerikanerin bezieht sich in ihrem Buch auf Armenien, Irak und Palästina. Ihre Familie ist armenisch-amerikanisch, stammt aus Ostanatolien, wo nach dem Untergang des osmanischen Reiches Millionen Menschen armenischer Abstammung ihr Leben verloren. Sie berichtet vom unmittelbaren Zeugnis ihrer Eltern, die beide als Kinder den Völkermord, den die Jungtürkische Regierung nach dem Untergang des osmanischen Reiches 1915 an Millionen Armeniern verübte, überlebten. Sowohl die Mutter als auch der Vater, die später in den USA eine Familie gründeten, waren beide durch Massaker zu Waisen geworden, die sie aber nur überlebten, weil Türken ihnen halfen, sie versteckten, ihnen zu essen gaben bzw. sie bei sich aufnahmen. „Ohne die Türken, die meine Mutter als Baby bei sich aufnahmen, ohne die Türken, die meinem Vater zu essen gaben und ihn vor der Ermordung durch die Exekutionshorden schützte, die die Jungtürken damals vor allem aus Häftlingen der Strafkolonien zusammengestellt hatten, wäre ich nicht am Leben“, sagte Mirak-Weißbach und es wird deutlich, wie wichtig dieser Punkt ist. Wichtig für sie, und vor allem wichtig für die Versöhnung. „Denn“, so Mirak-Weißbach, „es waren nicht d i e Türken, die den Völkermord verübten.“ Es war die pantürkische Bewegung, die Jungtürkische Partei, die die Macht ergriffen hatte und das reine Türkentum propagierte. Sie waren Ideologen, denen Volksgruppen wie die Armenier ein Dorn im Auge waren. Im Krieg mit Russland nutzen die Jungtürken die Gelegenheit, die Deportation der Armenier anzuordnen; man warf ihnen Kollaboration mit Russland vor. Millionen starben durch Deportation und Massaker.
Wie bekannt, ist es bis heute in der Türkei offiziell verboten, von einem Genozid an den Armeniern zu sprechen. Jedoch sei ein Wandel in der Gesellschaft zu beobachten, der sich auch in den türkischen Gemeinden in Deutschland reflektiert, meint die Autorin. Immerhin habe die türkische Regierung begonnen, einen diplomatischen Weg einzuschlagen, der in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Armenien führen könnte.
„Mein Buch ist eine Reflektion über meine Familiengeschichte und Entwicklungen, die in ähnlicher Weise Leid über hilflose Menschen, besonders Kinder gebracht hat.“
1991 flog Muriel Mirak-Weißbach als Mitinitiatorin des „Komitee zur Rettung der Kinder im Irak“ mehrfach in den Irak, fuhr mit Ärzten durch das Land, besuchte Krankenhäuser und Einrichtungen, um Hilfsgüter dort zu verteilen, wo sie am dringendsten benötigt wurden. Es war die Zeit nach dem ersten Golfkrieg und der Irak stand unter einem harten Handelsembargo. Besonders die Kinder, die an Kriegsverletzungen litten und denen aus Mangel an Material und Medikamenten nicht geholfen werden konnte, litten sehr unter dem Embargo. Das „Komitee zur Rettung der Kinder im Irak“ beschloß, so viele Kinder wie möglich, in Deutschland oder in den USA medizinisch behandeln zu lassen – ein Glück für die wenigen Kinder, die ausgeflogen und behandelt werden konnten.
In den 90er Jahren besuchte sie auf Einladung führender Vertreter der PLO Gaza. Schon damals war die Einschätzung des palästinensischen Intellektuellen Edward Said über den Nah-Ost-Konflikt in aller Munde: Ohne Respekt für das Empfinden und die Sicht des jeweils anderen bleibe ein Gespräch einseitig. Die meisten Palästinenser, so Mirak-Weißbach, betrachteten ihre Sicht der historischen Wahrheit als zu wenig berücksichtigt. „Der Gang durch das Feuer“ beschreibt deshalb auch den Veränderungsprozess innerhalb der israelischen Gesellschaft, den die Autorin ausmacht. Allein die Tatsache, dass unzählige israelische Soldaten nicht nur aufschrieben, was sie im letzten Krieg in Gaza sahen und erlebten, sondern dass sie diese Augenzeugenberichte an eine Dokumentationsstelle weiterleiteten, die jetzt in Form eines Berichtes veröffentlicht wurde, verändert die Wahrnehmung innerhalb Israels. Mirak-Weißbach berichtet von neuen Studien über Fragen der aktiven Vertreibung der Palästinenser durch Israel 1948 – bis vor kurzem ein absolutes Tabuthema. Im Jahre 1950 zählte die UNO 900.000 Palästinenser, die in Flüchtlingslagern lebten. Heute, 60 Jahre danach, so Mirak-Weißbach, lebten sie immer noch dort, mit ihren Kindern und Enkeln – ein Flüchtlingsdasein ohne Aussicht auf Veränderung.
Mit großer Wärme nannte Mirak-Weißbach das East-Western Orchester, das der Palästinenser Edward Said und der jüdische Musiker Daniel Barenboim 1999 ins Leben riefen, als lebendiges Beispiel für Versöhnung. Dort treffen jüdische und palästinensische junge Musiker zusammen und musizieren Werke großer Musik. „Sie teilen sich ein Notenpult und produzieren einen gemeinsamen Ton“,
zitiert Mirak-Weißbach den Dirigenten Barenboim. Für viele Teilnehmer des jährlichen Orchester Workshops sei es die erste Gelegenheit, etwas Positives mit jemandem von der „anderen Seite“ zu unternehmen. Barenboim: „Sie haben gesehen dass in bestimmten Bereichen eine Kooperation mit offenen Herzen gelingen kann....Das ist der Anfang – wir müssen etwas zusammen tun“.
In der Diskussion wurde auf den Unterschied zwischen dem geplanten Völkermord an der armenischen Bevölkerung 1915 und den tödlichen Folgen eines ungerechten Krieges wie im Irak hingewiesen. Wer dies unterschiedslos als Völkermord tituliere, relativiere diesen völkerrechtlich wichtigen Begriff, der die gezielte und systematische Vernichtung des Lebens oder der Lebensgrundlage eines ganzen Volkes meint. Mirak-Weißbach stimmte zu, dass man im Irak wohl nicht von Völkermord in diesem Sinne sprechen könne.
Muriel Mirak-Weissbach:
Through the Wall of Fire
Armenia-Iraq- Palestine
From Wrath to Reconciliation (edition fischer 2009, 380 S.,Euro 18)
Geschrieben von Birgit Brenner
Montag, 06. September 2010