Leitmedien


Text von Matthias Jochheim von der IPPNW über Gaza

13.08.2014 – Eine mit modernsten Zerstörungsmitteln ausgerüstete Armee überfällt zu Wasser, zu Lande und zur Luft eine dicht besiedelte, abgeriegelte und durch jahrelange Handels- und Reiseblockaden ausgepowerte Enklave, tötet rund 1900 Menschen - zu mindestens zwei Dritteln unbewaffnete Zivilisten, darunter rund 400 Kinder – und erklärt dies zu einer Operation gegen den Terror.
Begründet wird dies mit dem Abschuss vorsintflutlicher, ungesteuerter Raketen, ausgelöst durch eine von israelischen Militärs im Gazastreifen durchgeführte extralegale Hinrichtung von Hamas-Militanten und Zivilisten. Diese palästinensischen Geschosse töten drei israelische Zivilisten und richten geringfügigen Sachschaden in Israel an, stören über einige Tage außerdem den zivilen Luftverkehr nach Israel beträchtlich. (In Gaza gibt es nach der kompletten Zerstörung des dort mit EU-Mitteln gebauten Flughafens durch Israel keinerlei Flugverkehr, abgesehen von den häufigen Angriffen durch israelische Bombenflugzeuge und Drohnen).
Wie spiegelt sich dies in deutschen „Qualitätsmedien“ wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung (SZ)?
Mit erstaunlicher Uniformität kommentieren „pes.“ (FAZ) und Peter Münch (SZ) in den Zeitungen vom 9.8. (Samstag) diese Vorgänge: verantwortlich ist in erster Linie Hamas, die „endlich einsehen muß, „dass sie ihr Volk nicht weiter der krass überlegenen Kriegsmaschine ausliefern darf.“(!) Das angebliche „Kalkül: Es müssen noch mehr Menschen sterben und noch mehr Lebensgrundlagen zerstört werden, bis am Ende das weltweite Entsetzen so groß ist, dass es den Israelis Einhalt gebietet.“ „Es ist also völlig logisch, dass in Gaza zwei blinde Offensiven aufeinandertreffen. Es ist logisch, dass dies von außen keine verhindern kann – und jeder vernünftige Mensch muß daran verzweifeln.“ (SZ Kolumne auf S.4)
Na – wenn ohnehin nichts daran zu ändern ist, kann die deutsche und erst recht die US-Regierung ja ruhig weiter Waffen und Finanzsubventionen an ihre israelischen Regierungsfreunde senden, da muß sich der SZ-Leser nicht mehr darüber Sorgen machen!
Die Struktur des FAZ-Kommentars ist ganz ähnlich, da scheint es funktionierende Kommunikationstunnel zwischen Frankfurt und München zu geben: „Hat es im Gazakrieg noch nicht genug Tote gegeben? Wenn man sieht, mit welcher Strategie die Hamas bei den Verhandlungen vorgegangen ist, könnte man auf den Gedanken kommen. Die Palästinenserorganisation hat offenbar munter auf ihren Maximalforderungen beharrt“ (die vorsichtshalber im Text nicht benannt werden). „Aber man darf von einer Regierung nicht erwarten, dass sie die Hände in den Schoß legt, wenn Leib und Leben ihrer Bürger gefährdet sind“ – sondern hat als abgeklärter FAZ-Journalist Verständnis dafür, dass dann eben tausende unbewaffneter palästinensischer Zivilisten getötet und verletzt werden müssen. Abschließend: „Und es stimmt einfach nicht, dass immer Israel an allem schuld ist.“ (!) FAZ = Frankfurter Allgemeiner Zynismus.
Die Situation in Gaza wird mit einiger Berechtigung immer wieder mit einem Ghetto verglichen: 1,8 Millionen sind von der Außenwelt abgeriegelt, für ein normales Leben notwendige Versorgungsgüter werden ihnen durch eine Blockade ganz unzureichend geliefert, der Seeweg ebenso wie jeder Flugverkehr ist abgeschnitten.
Der Aufstand in diesem Ghetto, gegen die uneingeschränkt überlegene Besatzungs- und Belagerungsmacht, erhebt folgende einfache Forderungen, vom israelischen Journalisten Gideon Levy (Ha’aretz) als faire Grundlage für eine Verständigung eingeschätzt:

• Die israelische Armee soll aus dem Gaza-Streifen abziehen und
• Den palästinensischen Bauern erlauben, ihr Land bis an den Grenzzaun zu Israel zu nutzen.
• Die Palästinenser sollen wieder freigelassen werden, die erst im Austausch für den israelischen Soldaten Gilat Schalit freikamen und dann bald danach wieder inhaftiert wurden.
• Die Belagerung muss beendet und die Grenze wieder geöffnet werden; ebenso der Hafen und der internationale Flughafen unter UN-Kontrolle.
• Die Fischereizone muss erweitert, der Grenzübergang in Rafah international überwacht werden.
• Israel soll eine zehnjährige Waffenruhe zusagen und eine Schließung des Luftraums über dem Gaza-Streifen für israelische Flugzeuge akzeptieren.
• Einwohner des Gaza-Streifens erhalten die Erlaubnis, nach Jerusalem zu reisen, um dort an der Al-Aksa-Moschee zu beten.
• Israel möge sich nicht in die palästinensische Innenpolitik einmischen, zumal mit Blick auf die Einheitsregierung von Hamas und Fatah.
• Und zu guter Letzt soll Gazas Industriezone eröffnet werden.

Levy resümiert: „Die Hamas und der Islamische Dschihad fordern Freiheit für den
Gaza-Streifen. Es gibt wohl keine Forderung, die verständlicher und berechtigter ist. Wenn wir das nicht akzeptieren, werden wir nicht den gegenwärtigen Zyklus der Gewalt durchbrechen, und in einigen Monaten wird alles so weitergehen wie bisher.“

Es ist schade, dass wir in unseren sogenannten Qualitätsmedien einen so abgewogenen Beitrag zur Meinungsbildung nur mühsam auffinden können.

Matthias Jochheim, IPPNW